Kapitel 1
Julian war ein normaler zehnjähriger Junge, wie jeder andere Junge auch. Bis auf einen Unterschied: Er hatte den eindringlichen Wunsch fliegen zu können. Der Wunsch war so stark, dass er ständig an ihn denken musste und oft, wie ein Tagträumer, weggetreten war und von seinen Eltern und anderen Kindern nicht angesprochen werden konnte.
Eines Tages passierte es: Er war gerade so intensiv mit seinem Wunsch fliegen zu können beschäftigt, dass er ganz langsam und nur wenige Millimeter vom Boden abhob und in der Luft schwebte. Julian war immer noch so konzentriert, dass er erst gar nicht bemerkte, dass sein Wunsch Realität wurde. In dem Moment, als er aber vergeblich mit seinen Füßen den Boden suchte, verlor er die Konzentration und sackte die wenigen Zentimeter ab, bis er wieder am Boden stand.
Julian war sich immer noch unsicher, ob er tatsächlich geschwebt ist, oder ob er das nur geträumt hatte. Er merkte aber, dass er ziemlich geschwächt war und hatte das Bedürfnis, sich hinzusetzen. Er war glücklich, wie noch nie in seinem Leben und fühlte sich erleichtert, dass sein Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Da es schon recht spät am Abend war und es schon lange Zeit zum "Schlafen Gehen" war, legte sich Julian in sein Bett und schlief gleich ein. Er nahm sich nur noch vor, am nächsten Tag wieder einen Flugversuch zu unternehmen. Eigentlich war er ja zu aufgeregt, aber da der erste gelungene Schwebeversuch so anstrengend war und ihm scheinbar viel Energie entzogen hatte, schlief Julian tief und fest.
Am nächsten Morgen frühstückte er gut und ausgiebig, putzte sich gründlich die Zähne und verschwand dann in seinem Zimmer. Er schloss die Augen und konzentrierte sich, doch das Schweben klappte nicht sofort. Erst, als er wieder den Zustand höchster Konzentration erreichte, hob er ab und schwebte wenige Zentimeter über dem Boden. Diesmal aber war Julian nicht überrascht, sondern konzentrierte sich weiter. Er unterdrückte seine Freude und versuchte noch höher zu schweben, was ihm auch gelang. Aus den wenigen Zentimetern Höhe wurde bald ein Meter. Einige Sekunden später stieß sein Kopf schon an die Decke. Höher ging es in seinem Zimmer nicht. "Jetzt nur nicht die Konzentration verlieren", dachte sich Julian, "damit ich nicht abstürze". Daran, dass seine Mutter ins Zimmer kommen könnte und ihn an der Decke schweben sah, dachte er erst gar nicht, obwohl ihr Aufschrei schon lustig gewesen wäre. Stattdessen bemühte sich Julian langsam wieder herunter zu kommen, was ihm auch gelang. Beim Herabsinken kam er in eine leichte Schräglage, die er aber noch korrigieren konnte. Er wollte ja bei seiner ersten Landung keinen "Bauchfleck" hinlegen. Julian schaffte eine perfekte, weiche Landung.
Als er wieder festen Boden unter seinen Füssen spürte, war er zwar überglücklich, wollte aber gleich mehr und startete einen weiteren Versuch.
Den ganzen Vormittag ging es so dahin, Julian war so begeistert und aufgeregt, dass er übersah, dass er hungrig und durstig war. Wie in einem tranceartigen Zustand absolvierte er Schwebeversuch um Schwebeversuch. Es gelang Julian nach einer Weile auch nach vor und zurück, nach links und nach rechts zu schweben.
Gott sei Dank rief ihn nun seine Mutter zum Mittagessen. Beim Essen merkte Julian erst seinen Energiebedarf. Hastig schlang er das ganze Essen in sich hinein. "Schling nicht so", ermahnte ihn seine Mutter. Er versuchte "normal" zu Essen, sodass seine Mutter nicht merkt, was er erlebt hat und wie aufgeregt er eigentlich war.
Am Nachmittag setzte er seine Zimmerflugstunden fort. Immer besser und leichter konnte er sich konzentrieren, immer bessere "Flugtechniken" gelangen ihm. Nach einigen Stunden "flitzte" er bereits wie ein Gummiball von einer Zimmerecke in die andere. Julian gelangen immer bessere Flugmanöver und am Ende des Tages war er perfekt im Zimmerfliegen. Er konnte auch seine Fluglage ändern und in der Bauchlage und sogar in der Rückenlage fliegen. Wie man sich auf ein Bett niederlegt, so legte er sich auf die Zimmerdecke und lag ruhig und entspannt "da oben". Am Abend war er voll mit seinen Zimmerflugkünsten zufrieden. Für den nächsten Tag nahm er sich vor, seine Künste im Freien auszuprobieren. Er wusste, dass das Fliegen im Freien ungleich schwieriger sein wird, als im "begrenzten" Zimmer. Zudem ist die Gefahr "gesehen oder erwischt" zu werden sehr groß.
In dieser Nacht schlief Julian ausgesprochen gut. Er träumte ja oft davon, fliegen zu können, aber diesmal waren die Träume so realistisch und wunderbar, wie noch nie.
Am nächsten Tag ging Julian zur großen Wiese neben dem Spielplatz. Die Wiese war umgeben von hohen Bäumen, die einen guten Sichtschutz gaben. Seinen ersten Flugversuch machte er neben einem Baum, um sich im Notfall noch an den Ästen festhalten zu können, doch die nächsten Flugversuche startete er schon im freien Gelände. Erstaunt war er, wie "klein" die Welt plötzlich wird, wenn man etwas höher fliegt. Als etwas schwieriger gestaltete sich das Landen auf Baumästen. Einmal schlug er sich seinen Kopf ziemlich an einem Ast an, außer einer Beule trug er aber keine weiteren Verletzungen davon. Mit der Zeit konnte er auf dem Wiesengelände herumflitzen, wie am Vortag in seinem Zimmer. Er konnte nun wirklich gut fliegen.
Die weiteren Tage dieser Woche perfektionierte er seine Flugkünste. Alles nur Erdenkliche probierte er aus. Am Plan standen "landen auf einem Hausdach", "fliegen mit einem Gewicht", "Hochgeschwindigkeitsfliegen", "Looping fliegen" sowie "Vögel während dem Fluge überraschen und am Bauch kitzeln".
Am Ende der Woche war Julian überglücklich, aber auch nachdenklich. "Warum kann gerade ich fliegen?", dachte er. Besonders nachdenklich wurde er bei der Frage: "Was soll ich nun mit meinen Flugkünsten anstellen?"
Das ganze Wochenende stellte sich Julian Fragen, die er nicht beantworten konnte. Plötzlich lösten sich alle Fragen mit einer einzigen Antwort beziehungsweise mit einem Beschluss auf: "Ich werde jeden Tag eine gute Tat begehen, um diese besondere Gabe zu würdigen".
Von nun an verging kein Tag, an dem Julian nicht zumindest eine gute Tat mit Hilfe seiner Flugkünste beging.
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1 Kommentar:
ich finde diese geschichte gut.
diese geschichte ist sehr lang.
von lea und sophie.
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